Valerie Yang

1. Platz in der Jahrgangsstufe Q2

Valerie Yang
St. Leonhard Gymnasium Aachen

Ein graues Blau-Gelb-Grün mit roten Sprenkeln

Ich sitze da. Eingequetscht und zusammengekrümmt zwischen Menschen, die mir vertraut vorkommen sollten; Menschen, die ich kennen sollte. Ich merke, dass sie reden, Witze machen und über Vergangenheiten zurückblicken — über die Zukunft spekulieren. Die Vertrautheit in ihren Gesten. Vielleicht sollte ich mitreden. Mich beteiligen und nicht nur da sitzen, aber in meinem Gehirn ist nur dröhnende Leere: ich weiß nicht, was ich sagen soll; kann mich nicht konzentrieren. Es ist laut und stickig und voll und schwül und hell und zu viel, und von irgendwoher kommt Musik.

Die anfängliche Melodie ist ruhig: ein stetiger Klavierklang hallt durch mein Zimmer und verwandelt es in einen Konzertsaal. Wie eine Antwort auf das Ticken der Uhr ertönt sie und begleitet das stetige Voranschreiten der Zeit. Ich höre ihr zu, denn die sich wiederholende Abfolge einzelner Töne hat irgendwie irgendwas Beruhigendes an sich. Muss plötzlich an das beständige Rattern von Zügen denken; an alte Veränderungen, die irgendwann zur Gewohnheit werden. An bunt-tanzende Lichtpunkte, das sanfte Leuchten von Sonnenstrahlen und warme Vertrautheit. Das Gefühl von Geborgenheit.

Nach ein paar Augenblicken gesellt sich eine Geige zu ihr. Summend und zart schleicht sie sich in den Saal, in die Melodie. Auf gedämpften Wollsocken schmiegen sich immer nur die Zehenspitzen an den holzigen Fußboden und gleiten durch Raum und Zeit, wo jetzt nur noch die Musik von Bedeutung ist. Sie allein spiegelt die Luft zum Atmen wider.

Ich schließe meine Augen, sehe vor mir nicht mehr das grelle Weiß der
Deckenlampen, sondern ein weiches Licht. Ein lichtdurchflutetes Schlafzimmer an einem Sonntag. Sehe wie Geigenbogen über die Saiten streichen. Wie eine Schwarmintelligenz an Bienen bewegen sich die Bögen. Auf und Ab, auf und ab. Wellenrauschen. Meeresgrau und die grüne, salzige Luft. Sandsteingelbe und marmorweiße Klippen. Das Pfeifen und Wispern der Bäume. Geschmeidiges, schwarz-violettes Holz und das Immergrün der dunklen Tannen. Aufrechte, hohe Kronen. Ein Wald voller Bäume. Voller Geflüster und Rascheln und Knistern von unendlichen Unendlichkeiten. Weit, weit und immer weiter.

Die zuvor noch leise, langsame Geigen-Melodie baut sich auf: das Flüstern wird zu einem Murmeln, drängt sich in den Vordergrund; wird immer eindringlicher und schneller. Ausgeladener. Die Bewegungen der Geigenbogen immer größer: weit, weit, weiter; und lösen die Melodie des Klaviers ab. Das Klavier verstummt und noch einige Augenblicke schweben die Hände über die Tasten, ehe sie sich dem Schwarz-Weiß(-Bunt) entfernen.