Hannah Sendt

1. Platz in der Jahrgangsstufe EF

Hannah Sendt
Einhard Gymnasium Aachen

Perfekt

Ich glaube dir nicht,
dass du glücklich bist.
Glücklich mit dir,
mit deinem Leben,
mit all den Dingen,
ob Fluch,
ob Segen
mit dem, was du mit dir machst,
mit der Art, wie du lachst,
mit all dem, was du änderst,
und dem, was besteht,
dass, egal was du tust,
nie von dir geht,
mit all den Worten,
die in der Stille
auf die Wahrheit warten,
und all den Geschichten,
die im Verborgenen sitzen,
weil du nicht daran denkst,
dass sie für uns von Bedeutung sind.

Ich glaube nicht,
dass es dir gut geht
oder wenigstens besser,
und was das überhaupt bedeutet.

Besser als vor 2 Wochen,
oder als vor 2 Monaten?
Besser als früher,
besser als vorher
Vor den eingefallenen Wangen
und den glasigen Augen.
Vor den leeren Blicken
und noch leereren Worten,
als deine gebräunte Haut noch warm,
dein Lächeln noch ehrlich
und du noch, wie du wirktest.
Vorher eben, bevor ich wusste,
was alles passieren würde,
bevor ich lernte,
dass nicht immer alles gut wird,
oder wenigstens besser.

Vorher,
als sie alle, auch wenn sie es nie sagten,
insgeheim sein wollten
wie du,
weil alles bei dir so unglaublich leicht wirkte,
du klug, schön und vor allem glücklich warst.
Alles, was sie vielleicht nie haben
oder erträumen konnten,
das warst du.
Vorher jedenfalls.

Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher,
wer oder was du bist.
Du bist fremd geworden,
fremd und anders,
kälter, glasiger, leerer
und weniger als alles, was du mal warst.
Weil du dich auflöst,
unendlich langsam und leise
zerfällst du zu Staub,
zu Sand.
Ich kann dich nicht greifen.
Ich kann nicht verhindern,
dass du durch meine Finger fließt,
langsam den Bach hinuntergehst,
das Rauschen bildet
seine einsam perfekte Melodie.

Sie bleibt,
für Tage, für Nächte,
ich höre die Welt
nur noch durch Kopfhörer,
und jedes einzelne Lied bist du.
Du bleibst.
Eingesperrt zwischen meinen Gedanken
sitzt du stumm und doch vorwuchsvoll an meiner Bettkante,
nur, um mir zu sagen, was ich ohnehin schon weiß?

Dass ich hätte was sagen müssen,
irgendwas,
dass es irgendwie besser gemacht hätte.
Vielleicht hätte es geholfen, wenn ich es ihnen einfach ins Gesicht gesagt hätte,
dafür gesorgt hätte, dass nicht nur ich weiß, wie wenig perfekt und gesund du in Wahrheit bist,
aber irgendwie war ich nur ein Kind.
Mir hätte wenigstens auffallen sollen, wann es angefangen und du immer weniger geworden bist, aber was bin ich schon?
Auf dem Papier schon fast erwachsen und doch in Wahrheit nur ein kleines Mädchen, das sein will wie du.
Perfekt.